Schreiben über, Schreiben aus Bewegungen

Fühlen wir uns als Teil einer Bewegung oder schreiben wir über sie? Ich erinnere mich gut, wie ich in der Fertigstellung des Sammelbandes tofan (sturm) – Literarische Interventionen aus revolutionären Bewegungen lange über das aus mit einzelnen Autor*innen diskutiert habe. Schlussendlich entschied ich mich für aus: Zum einen, weil ein Teil der Autor*innen nicht in Deutschland politisiert worden ist und ein transnationales Publikum in seinen Arbeiten anspricht. Zum anderen, weil wir Bewegungen nicht so starr erleben dürfen. Es gibt unendlich viele Gründe, weshalb Menschen ihre Heimat verlassen müssen. Ein Verständnis, dass sie, sobald sie eine Grenze überqueren, nicht mehr Teil einer Bewegung sind, wäre fatal.

In ihrem kurzen Text Notizen einer wirren Nachahmerin thematisiert Armeghan Taheri die Grenzen im eigenen Zuhause. Das Zuhause ist dabei auch der Ort, an dem die Autorin die revolutionäre Bewegung verortet. Einer Bewegung, der sie nicht entfliehen kann. Zwischen einer Figur, die mich an eine Elternfigur erinnert, und den (Alb-)Träumen der Protagonistin fliehen wir gemeinsam vor etwas. Etwas verfolgt die Figuren im Text und zeitgleich uns als Lesende. Die Protagonistin sagt, sie fürchte sich vor kaum etwas. Doch die Nächte halten sie wach, und in fantasievollen Episoden, die Lesende nicht als Traum oder Wirklichkeit einordnen können, werden die Körperteile der Elternfigur entmenschlicht, die Figur wird zu einem Monster. Die Gerechtigkeit scheint zu schwinden, aber die Protagonistin hält an ihr fest und sagt: Vielleicht spürst du ja, dass ich auch hier bin und mit dir nicht vergesse, dass du existierst. Ist der Weg in die Fantasie eine Möglichkeit, um kollektiv und transnational über Bewegungen sprechen zu können? Die Bewegung ist Teil unseres Zuhauses und wie die Protagonistin, können wir ihr nicht entfliehen. 

Die Autorin Mina Khan erzählt in Drei Akte Herzschläge von einer Begegnung, die nie stattfand. Ironischerweise sucht sie in der Rezeption zweier Männer, Abulqasem Lahouti und Ahmad Zahir, nach Schwesterlichkeit. Mina Khans Text kommt ohne Staatlichkeit aus, die Biographien der zwei Poeten, deren Texte die Autorin weiterspinnt, bewegen sich zwischen Ländern und Ethnien. Was bleibt, ist der simple Wunsch nach Gerechtigkeit: Endlich ist das Leben, wozu die Knechtschaft gut!

Kurz nach unserer Releaseveranstaltung sagte die Autorin zu mir, dass transnationale Solidarität unbeliebt bleibt. Obwohl viele Menschen der antirassistischen Bewegung immer wieder betonen, dass uns der Staat nicht sicherer macht, bleiben viele still, wenn es um Terror und Kriegsverbrechen in anderen Ländern oder Regionen geht. Sind andere Staaten etwa sicherer?       

Drei Akte bei Mina Khan, drei Abschnitte bei Armeghan Taheri, um der Gerechtigkeit näher zu kommen. Ob Zuhause, oder beim Klang im Gefängnis, wo Gefangene die Gedichte der Poeten rezipieren. Der Kampf für Gerechtigkeit eint uns, ob in Hanau, Teheran, Kabul oder Gaza.

tofan (sturm) – Literarische Interventionen aus revolutionären Bewegungen” ist 2023 im Verlag edition assemblage erschienen und in Buchläden oder online erhältlich. Der Sammelband verleiht afghanischen, iranischen und kurdischen Kämpfen Ausdruck. 

aDj hat den Sammelband tofan (sturm) – Literarische Interventionen aus revolutionären Bewegungen herausgegeben. Ansonsten schreibt er über Widerstände gegen Racial Profling, rezensiert Romane und kuratiert Magazinprojekte.