Die Politik des iranischen Regimes: Kontinuum von Gewalt im Innen und Außen

Ein Gespräch mit Barbara Mittelhammer über den Iran, seine innen- und außenpolitischen Leitlinien sowie die feministische Außenpolitik der Bundesregierung. 

Wir haben bisher in dieser Ausgabe vor allem auf die iranische Zivilgesellschaft und die Repression, die sie erfährt, geschaut. Wo steht und wie positioniert sich das iranische Regime außenpolitisch in der Region?

B: Der Antifeminismus und die damit einhergehende Gewalt gegen Frauen und marginalisierte Gruppen ist eine tragende Säule des Machterhalts in Iran. Die Wesenskerne der Außenpolitik der Islamischen Republik sind insbesondere Antiamerikanismus und, so das eigene Narrativ, der Antizionismus. Die damit einhergehende Finanzierung bewaffneter islamistischer Gruppen in der Region, wie etwa Hisbollah im Libanon, Huthis im Jemen, schiitische Milizen im Irak und Syrien und Hamas in Gaza ist ein wesentlicher destabilisierender Faktor in der Region. Und natürlich ist die Rivalität zu Saudi-Arabien zu nennen, bei der neben religiösen Widersprüchen vor allem politische und geopolitische Aspekte um die Vorherrschaft am Golf eine Rolle spielen.

Das iranische Regime stellt sich als Schutzmacht für unterdrückte Muslime weltweit dar, insbesondere auch der Palästinenser:innen. In Hinblick auf Israel hat das iranische Regime seine Position der Verweigerung des Existenzrechts aufrechterhalten, auch trotz Annäherungen verschiedener arabischer Staaten mit Israel in den letzten Jahren. Obwohl der 7. Oktober natürlich eine Zäsur darstellt, hat sich an den wesentlichen Elementen iranischer Außenpolitik wenig geändert.

Welche geopolitischen und globalen Konfliktlinien sind relevant?

Geopolitisch ist die Unterstützung Irans von Russland im Krieg gegen die Ukraine zu nennen, sowie das Verhältnis zu den USA und den internationalen Bemühungen um ein Atomabkommen. Nach jahrelangen Verhandlungen trat 2015 mit dem sogenannten JCPOA ein Abkommen in Kraft, mit dem sich Iran strengen Regeln im Umgang mit seinem Nuklearprogramm unterwarf, die eine Verhinderung einer iranischen Atombombe zum Ziel hatten. Im Gegenzug sollten Sanktionen gegen Iran gelockert werden, die insbesondere die iranische Wirtschaft hart trafen. 2018 kündigte US-Präsident Trump das Abkommen einseitig auf und führte die Sanktionen wieder ein. Das Thema war ein großer Fokus europäischer und deutscher Außenpolitik der letzten Jahre. Bemühungen zur Wiederaufnahme sind bisher gescheitert. Iran steht zwischenzeitlich wohl relativ kurz davor, über waffenfähiges Nuklearmaterial zu verfügen.

Wie positioniert sich die Protestbewegung zum außenpolitischen Handeln des Regimes?

B: Das lässt sich schlecht pauschal beantworten, einfach weil es verschiedene Stimmen und Forderungen im Land gibt. Dazu kommen die Stimmen aus den internationalen Diaspora-Gemeinden. Aber es  gab laute Ruf nach Deeskalation an die internationale Gemeinschaft, trotz der Repression, die solche Äußerungen im Land nach sich ziehen können. Eine weitere Eskalation hätte die Situation für die Menschen im Land und der Region massiv verschlechtert.

Blicken wir auf Deutschland: Mit dem Koalitionsvertrag von 2021 hat sich die Koalition einem außenpolitischen Richtungswechsel versprochen. Das Auswärtige Amt hat dazu die Leitlinien für feministische Außenpolitik ausformuliert. Ist das am Beispiel Iran gelungen?

Eine feministische Außenpolitik macht sich zum Ziel, die Rechte, Ressourcen und Repräsentation von Frauen und die Menschenrechte aller zu schützen und die Situation marginalisierter Gruppen mehr zu berücksichtigen. Dies trägt nachweislich zu stabileren und umfassenderen politischen Prozessen bei. Außenministerin Baerbock hat 2022 kurz nach Beginn der Proteste verkündet, es dürfe kein „weiter so“ in den Beziehungen zu Iran geben. Aktuell muss man aber sagen, dass es zwar vereinzelte Maßnahmen gab, eine strategische Neuorientierung jedoch ausblieb. Aus einer feministischen und menschenrechtsorientierten Perspektive muss man mit Blick auf Iran fragen: Wie gestaltet man Politik so, dass sie nicht nur darauf abzielt die Strukturen des Regimes zu schwächen, sondern wie schafft man es, zivilgesellschaftliche und demokratische Akteur:innen im Land zu stärken?

Gleichzeitig verfolgt ja nicht die gesamte deutsche Bundesregierung feministische Politik, sondern nur die beiden Ministerien Auswärtiges Amt und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Dabei steht Außenpolitik natürlich im Zusammenhang mit allen anderen Ressorts. Die innenpolitische Entscheidung, das Abschiebeverbot nach Iran aufzuheben, während dort Menschen für das Eintreten für feministische Werte zu Tode verurteilt werden, zeigt, wie widersprüchlich die deutsche Politik in dieser Hinsicht ist. Und im größeren Kontext passt auch die Zustimmung der deutschen Regierung zur Reform des gemeinsamen europäischen Asylsystems nicht zu feministischer Außenpolitik als menschenrechtsbasierter Ansatz.  

Welche konkreten außenpolitischen Maßnahmen gegenüber Iran wären sinnvoll?

Ein wichtiger Schritt, der umgesetzt wurde, war die Fact Finding Mission des UN-Sicherheitsrats. Der Abschlussbericht ist zu der Erkenntnis gekommen, dass es im Kontext der Repressionen des iranischen Regimes gegenüber der Bevölkerung zu sehr schweren Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit kommt. Diese Erkenntnisse reihen sich ein in eine Kontinuität von systemischen, systematischen und strategischen Menschen- und Frauenrechtsverletzungen. Die durch solche Berichte etablierten Fakten bilden eine wichtige Basis für weiteres Handeln.

Ein klassisches Mittel außenpolitischen Handelns sind natürlich Sanktionen, und gerade gegenüber dem iranischen Regime spielen sie eine große Rolle. Aus einer feministischen Perspektive muss man hier dringend fragen und evaluieren: Wen betreffen die Sanktionen in welcher Art? Sanktionen sollten immer zielgerichtet sein. Sie sollten bestenfalls einzelne Personen und Institutionen treffen. Reiseverbote oder das Einfrieren von Vermögen kommt hier etwa in Frage. Sanktionen, die negative Folgen für die Zivilgesellschaft haben, sollten dagegen vermieden werden. In Iran spielt die Einschränkung von Internetfreiheit eine große Rolle. Auch hier kann außenpolitisches Handeln ansetzen. Außerdem muss es darum gehen, die Stimmen der Gruppen, die besonders von Repressionen betroffen sind, miteinzubeziehen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die internationale Strafverfolgung. Zwar ist Iran nicht Mitunterzeichner des Römischen Statuts und unterliegt somit nicht der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. Aber unter dem sogenannten Weltrechtsprinzip könnte zum Beispiel eine deutsche Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Einzelpersonen aufnehmen, ähnlich wie es in Deutschland und Schweden im Zusammenhang mit dem syrischen Bürgerkrieg geschehen ist. Auch „gender persecution“, also die Repression und Verfolgung aufgrund von Geschlecht, ist Teil internationaler Straftatbestände. Solche Maßnahmen bringen das Regime nicht morgen zu Fall, aber sie entziehen ihm Legitimität und Unterstützung und stärken die Forderungen der Zivilgesellschaft. 

Barbara Mittelhammer ist eine unabhängige politische Analystin, Beraterin und Mediatorin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind menschliche Sicherheit, Gender in Frieden und Sicherheit, feministische Außenpolitik und die Rolle der Zivilgesellschaft bei der Gestaltung der Außenpolitik. Sie hat über feministische Außenpolitik gegenüber dem Iran und Syrien publiziert und mit Think Tanks, internationalen Organisationen, Ministerien, Parlamenten zusammengearbeitet.